Die Rosa Brille
Die Idee

Die Idee zu dem Bild „die rosa Brille“ entstand, als ich mir Gedanken zum Thema „glücklich“ für die im April 2004 stattfindende thematische Gruppenausstellung der Budapester Kunstschule, die ich besuchte, machte. Nachdem ich das eigentliche Ausstellungswerk, ein glückliches, im Schlamm suhlendes Schwein gemalt hatte, griff ich erneut zum Pinsel.

Schon seit einigen Monaten war ich verstärkt dazu übergegangen, Menschen in der Wechselbeziehung zueinander und zu ihrer Umwelt darzustellen. Dabei schien es mir bald wesentlich, gegenwärtige Themen zu wählen, um eigenes Erleben und Empfinden in den Werken zum Ausdruck bringen zu können. So gelangte ich bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Glück zu dem Eindruck, dass die vorwiegende Mehrheit der Menschen heute eben nicht glücklich ist, sondern bestenfalls nach Glück strebt, sich aber sogar meist mit oberflächlichem Ersatz, insbesondere durch Konsum, zufrieden gibt. Ausgehend von der grundsätzlichen Überlegung, welche Sprichworte und Redensarten mit Glück verbunden sind, stieß ich schnell auf die rosa Brille als Symbol der glücklichen Sicht auf die Welt. Ich befreite die rosa Brille von ihrer metaphorischen Bedeutung und verwendete sie so als reellen, „konsumierbaren“ Gegenstand.

Das Bild

Das Bild zeigt zwei Figuren: auf der rechten Bildseite eine Frau, die sich aus dem Bild nach rechts hinauszubewegen scheint sowie zu ihrer Linken, leicht nach hinten versetzt, einen Mann, der sich soeben mit spitzen Fingern eine runde Brille mit rosafarbenen Brillengläsern aufsetzt und dabei zugleich eine Schrittbewegung nach links ausführt. Der Mann, dessen kurz geschorenes Haar eine blonde Haarfarbe erkennen lässt, trägt einen gelblichen Anzug und ein kragenloses Hemd, die Frau einen roten Rock, der im Einklang mit ihrer Haarfarbe steht, sowie eine blaue Bluse, die den rechten Unterarm unbedeckt lässt. Die Gestalt des Mannes wird vom unteren Bildrand, die der Frau vom oberen, unteren und seitlichen Bildrand beschnitten.

Mit ihren herabhängenden Mundwinkeln, den leeren Augen und der maskenhaften Starre der Gesichter strahlen die Figuren eine frustrierte Unzufriedenheit aus. Unterstrichen wird diese Stimmung noch durch den dunklen Hintergrund und den schmalen Streifen nächtlich dunkelblauen Himmels.

Neben den Leitgedanken „Glück“ bzw. „Unglück“ spiegeln sich in dem Bild auch die Themen „Liebe“ und „menschliche Beziehungen“ sowie die Kritik an Oberflächlichkeit und Konsumdenken wider.

Die beiden dargestellten Figuren zeigen sich als deprimierte Menschen in einer eintönigen Welt. Unabhängig von der Ausstrahlung jeder einzelnen Figur und der öden Umwelt, lässt sich auch eine Aussage zu der Beziehung der beiden Menschen zueinander treffen. Möglicherweise handelt es sich um ein Paar. Die sich von einander abwendenden Figuren berühren sich jedoch nicht und blicken sogar in verschiedene Richtungen, wodurch das Fehlen von Liebe, Zuneigung und Vertrauen deutlich wird. Dieser Symbolik bin ich in zwei Doppelbildnissen Max Beckmanns (1884-1950) begegnet, in der er sich jeweils mit seiner Frau darstellt. In einer Zeit persönlicher Krise der beiden, 1925, gehen ihre Blicke in verschiedene Richtungen, während sie auf einem andern Doppelbildnis von 1941, in glücklicheren Tagen, in dieselbe Richtung weisen. Dieses Symbol habe ich hier bewusst aufgegriffen, um darzustellen, dass Liebe als Quelle von Glück vorliegend nicht besteht und so die rosa Brille auch in der zwischenmenschlichen Beziehung als Rettungsring dienen soll.

Um den unglücklichen Zustand der Leere zu ändern und das dringend erwünschte Glück als das höchste aller Güter zu erreichen, scheint nun also die rosa Brille ein (letzter?) verzweifelter Ausweg zu sein. Wer die Welt durch die „rosa Brille“ sehen kann, kann sich glücklich schätzen, da er selbst die unschönen Seiten des Lebens durch den Filter der gefärbten Gläser (verzerrt) positiv wahrnimmt. Die „rosa Brille“, dieser Ausdruck, der die innere Seelenwelt glücklicher Menschen durch einen Vergleich mit der realen Welt metaphorisch veranschaulicht, wird in dem Bild ad absurdum geführt: Die Menschen sehen die Welt nicht rosa, weil sie glücklich sind, sondern sie wollen glücklich sein, indem sie sich die rosa Brille aufsetzen. Die entleerten Menschen wollen ihre Gefühlswelt durch Verwendung äußerer Mittel, hier der rosa Brille, nicht nur positiv beeinflussen, sondern auf schnellem und leichtem Weg nach dem höchsten, dem Glücksgefühl, ausrichten. Wie man den Figuren, insbesondere auch dem Mann, der sich gerade die Brille auf die Nase setzt bzw. noch vor die Augen hält, jedoch ansieht, muss dieser Versuch fehlschlagen. Auch der Blick durch die rosa Brille kann ihn nicht fröhlicher oder gar glücklich stimmen. Hier zeigt sich die Kritik an der Oberflächlichkeit auch der heutigen Gesellschaft: Im Vertrauen auf die „Wundermittel“ (der Technik und des Konsums) versuchen die Menschen, sich durch äußere Ablenkungen über seelische Tiefpunkte hinwegzuretten, ohne dabei den Versuch zu unternehmen, die eigenen Empfindungen zu hinterfragen und so zu einer seelischen oder zwischenmenschlichen Lösung und damit letztlich zu innerer Erneuerung zu gelangen.

Die Umsetzung

Als kompositorisches Element beabsichtigte ich ein Hervorheben der Diagonale von rechts unten nach links oben durch den Unterarm der Frau am rechten Bildrand und dem unterem Ärmelrand des Sakkos des Mannes am linken Rand. Durch den rechten Unterarm und die Hand des Mannes wird diese Diagonale (und damit der Blick des Betrachters) weiter über den Kopf des Mannes mit der Brille zum Kopf der Frau geführt. Dieser kompositorischen Konzentration in der oberen Bildhälfte soll durch den voluminösen roten Rock der Frau ein Gleichgewicht im unteren Bildbereich entgegengesetzt werden. Durch das Rot der Haare und des Rocks der Frau und das Gelb der Haare und des Anzugs des Mannes wird eine Verknüpfung zwischen oben und unten hergestellt. Zudem stellen die großflächig und vorwiegend verwendeten Primärfarben Rot, Blau und Gelb ein sich ergänzendes farbliches Wechselspiel dar. Die andere Diagonale von links unten nach rechts oben wird durch die Anordnung der Hintergrundformen nur angedeutet. Ein weiteres Element des Bildaufbaus findet sich in der Mitte des Bildes: Hier formen der Bauch des Mannes und das Oberteil der Frau mit der Brustwölbung einander ergänzende Gegenformen. Die vom Bildrand beschnittenen Gestalten sollen ferner den Eindruck eines spontanen, zufälligen Bildausschnittes entstehen lassen.

Für die beabsichtigte Komposition schien das Hochformat die geeignete Form zu sein, um die aufragenden Gestalten am besten zu betonen. Insbesondere die Höhe des Bildes von 130 cm bei 80 cm gab ein ungewöhnlich länglich wirkendes Format ab. Bei der Technik verwendete ich „klassische“ ebenso wie „moderne“ Maltechniken. Neben der Herausarbeitung der Licht- und Schattenwirkungen durch Übermalung mit Lasurschichten ist auch ein „gröberer“ Umgang mit der Farbe durch Abschaben, Kratzen sowie Spritzen und Verlaufenlassen verflüssigter Farbe zu erkennen. Auch die Kombination der genannten Arbeitsweisen machte ich mir zunutze (so ist der Anzug des Mannes beispielsweise mit Farbspritzern übersät, die teilweise verwischt und verkratzt, teilweise anschließend lasierend übermalt wurden). Um den Hauptgegenstand des Bildes, die rosa Brille, deutlich genug hervortreten zu lassen, wählte ich eine farbige, aber gedeckte Palette, in der die rosafarbenen Brillengläser als leuchtende Punkte herausstrahlen sollten.

Als mögliche Inspirationsquellen neben dem bereits erwähnten Max Beckmann, der in der Ausdruckskraft seiner Symbolik als Vorbild diente, sind bei der Entstehung des Bildes Otto Dix und Georg Grosz (bezüglich der düsteren Charaktere und Stimmungen), Amedeo Modigliani (bezüglich der gestreckten Gliedmaßen und der ausgehöhlt erscheinenden Augen) und Jackson Pollock (im Hinblick auf den expressiven Einsatz der Ölfarbe, insbesondere durch Bespritzen der Leinwand) zu nennen. Unter den Kunststilen des 20. Jahrhunderts können auch kubistische Elemente im Bildhintergrund in Betracht gezogen werden.

Die Parallelen

Unter meinen bisherigen Bildern lässt sich die „rosa Brille“ nicht einer bestimmten Serie zuordnen, aber gerade mit einigen Bildern aus den letzten Monaten bestehen zum Teil Parallelen. Beginnend mit einem Bild aus dem Sommer 2003, in dem ich versuchte, den Eindruck, den ich durch einen Bericht über internationalen Menschenhandel und Prostitution bekommen hatte, in der Wechselbeziehung zwischen einem Freier und einer Prostituierten bildnerisch umzusetzen, lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen: Auch hier befindet sich links ein Mann, rechts eine Frau, auch hier zeichnet sich ein Spannungsverhältnis ab, da sich der Mann der sich abwendenden Frau mit Gewalt zu nähern versucht, mangels anderweitiger Basis für ein zwischenmenschliches Verhältnis wird die oberflächliche Nähe notfalls gegen Bezahlung kurzfristig konsumiert und vorgetäuscht.

Weiterhin wäre eine Reihe von Clownbildern zu nennen, die wie die „rosa Brille“ ebenfalls einen das Motiv seelischer menschlicher Beziehungen durch einen Widerspruch darstellen: unglücklich und einsam wirkenden Clowns, die aufgrund ihrer Verkleidung eigentlich zur Freude Anlass geben sollten, wenden sich ebenfalls traurig voneinander ab. Auch bei diesen Bilden fallen leere Augen als Ausdruck eines unglücklichen Zustandes auf. Hier ist allerdings keine Kritik oder Lösung, sondern eben nur ein Zustand, eine Stimmung erkennbar. Ich wählte die Clowns einerseits wegen ihrer dekorativen Erscheinung, andererseits wegen dem Reiz einer nicht auf den ersten Blick zu vermutenden psychologischen Verbindung zwischen dem weißen Clown und dem „dummen August“. Nachdem ich einige Clownbilder fertig gestellt hatte, war mir aber auch bewusst, dass die Idee zur Darstellung einer – wenn auch interessant erscheinenden – menschlichen Beziehung nicht „entliehen“ werden darf. Stattdessen suche ich nun verstärkt – wie in der „rosa Brille“ – weiter nach einem Ausdruck, der auf eigenen Grundfragen und -eindrücken beruht.

In weiteren Werken aus jüngster Zeit verwendete ich wie im vorliegenden Gemälde des Öfteren den Effekt der gespritzten Ölfarbe in Verbindung mit gespachtelten bzw. gekratzten oder lasierten Farbschichten. Die dadurch entstehende Textur bringt interessante Effekte mit sich, die ich auch in nächster Zeit noch weiter gezielt verwenden werde. Das Bild der „rosa Brille“ könnte nach Stil und Technik Anlass für eine Serie ähnlicher Gemälde werden, die rosa Brille als Symbol für die fehlgeleitete Suche nach dem Glück wird allerdings ein Einzelwerk bleiben.

Als Künstler wünscht man sich für seine Bilder natürlich einen Platz, an dem viele Menschen damit konfrontiert werden. Und vielleicht hebt dann der eine oder andere mit spitzen Fingern seine Brille vor die Augen, um das Bild zu betrachten und sich dabei selbst als den Mann auf dem Bild wiederzuerkennen.