Zwischenstopp

Zwischenstopp

Ein Bild kann nicht nur das offenbaren, was es vor uns enthüllt, sondern auch das, worauf es lediglich verweist, was es unter Bezugnahme andeutet. Der philosophische Titel von Sascha Müllers Ausstellung – Zwischenstopp – enthält verschiedene Bedeutungen.ausstellung cs 2011_1smVielsagend bezeichnet es die Ankunft von irgendwoher und das Zugehen auf irgendetwas, den mit Erwartungen erfüllten Zustand der Wegsuche. Der Titel weist darauf hin, dass Sascha Müller aus der Fremde kam, vor fast 15 Jahren aus Deutschland. Damals vielleicht noch nicht als Maler, sondern als konsolidierter Bürger. Die wichtigere Bedeutung betrifft jedoch das malerische Schaffen selbst. Dass er auf seinem Weg an einer Zwischenstation angelangt ist, die mit einer bestimmten Frage, der existenziellen Frage verknüpft ist: Wie definiert sich der Künstler selbst als bildender Künstler, beziehungsweise wie ist er in seiner eigenen Existenz gegenwärtig? Seine in vielseitiger malerischer Betrachtungsweise geschaffenen, in verschiedene Gemäldetypen einzuordnenden Öl/Leinwand-Arbeiten nähern sich – an einem Zwischenstopp – der Beantwortung dieser Frage an.

Freilich lassen sich an einem Zwischenstopp nur kurze Blicke werfen auf das als wesentlich Gedachte. Die Ausstellung ist die Sammlung dieser essentiellen Blicke. In ihnen findet sich die Unaufschiebbarkeit der Selbstdefinition und der Identitätssuche ebenso, wie die Kritik an der das Subjekt umgebenden Wirklichkeit-Umwelt. Der Kreierende versucht an beiden Linien das Seiende und das Sein, den Schein und die Wahrheit zu trennen. Indessen kann dieses Zwischen-Sein, das Dazwischenliegen zwischen Orten und Zeiten auch darauf hinweisen, dass der Künstler an einer Wende steht: Er schließt etwas ab, um etwas anderes zu beginnen.

Die Leinwände füllt er mit persönlichen Eindrücken und Erlebnissen. Die kleinen Phänomene und Geschichten des alltäglichen Lebens, die als Antwort auf Aktualitäten geborenen unmittelbaren, manchmal mittelbaren Reflektionen,
Kritiken an Zeit und Lebensweise, nicht selten Selbstkritiken.All dies unterstreicht den zeitgenössischen Charakter von Sascha Müllers Malerei. Die Mehrheit der Bilder ist durchdrungen, manchmal offensichtlich, manchmal kaum versteckt, vom Imperativ des Ringens.

rivalenScheinbar mit irgendjemandem oder irgendetwas, vor allem aber mit sich selbst ringt der Mensch. In der Arbeit Rivalen kämpfen die beiden Gestalten der Boxer vielleicht gegeneinander, obwohl sie sich notwendigerweise vornehmlich selbst bezwingen müssen. Die merkwürdige Verkürzung der Unterschenkel, ihr plötzlicher Übergang in die deutlich betonten Füße, die anatomische Ungenauigkeit – ist bedeutungsvoll: Auf den Beinen bleiben und standhalten.

zweifelDie Malergestalt des Werkes Zweifel deutet mit der Gesamtheit ihres Körpers und dem Zusammenknicken ihrer Beine ihre innere Unsicherheit an.

Das Treiben des Brandstifters verfolgen nur eine unbewusste, aber in ihren Instinkten sichere Katze sowie eine gleichmütige, ohnehin alleswissende bärtige Figur, die sich in den Hintergrund zurückgezogen hat: in der Deckung eines Baumes, nur für uns sichtbar.

brandstifter

Die beiden Figuren der Rosa Brille bilden augenscheinlich nur räumliche eine Gemeinschaft, im Übrigen ist ihre Glückseligkeits-Suche ebenso vergeblich egozentrisch, wie ihre Zweisamkeit.

rosa_brille

Die Werke durchzieht eine starke Strukturiertheit und wohl durchdachte, gespannte Kompositionsordnung. Sascha Müller vermengt charakteristisch die verschiedenen, mal einander nahestehenden, mal einander fernen Malweisen. Neben der Verwendung der als traditionell und klassisch anzusehenden Lösungen, des Aufbaus in mehreren Lasurschichten oder des Licht-Schatten-Effekts, der reichhaltige Ausdrucksmöglichkeiten in sich trägt, sind auch für die moderne Malerei charakteristische gestische werkbildende Methoden zu beobachten. Diese sind das Abkratzen, die Öffnung einzelner Oberflächen des Bildfeldes, das Bespritzen mit Farbe, das dem zufälligen Spiel der Farben Raum gebende Verlaufenlassen, das Abschleifen und die pastose Oberflächengestaltung. Neben den sorgfältig kontrollierten und gesteuerten Verfahren wird somit auch das Zufallsartige zu einem Teil des Bildes.

Auf einem anderen Bildtypus zeigen sich größtenteils kaum moralische Eleganz ausstrahlende Krawattenträger. Die Netzwerkgründer und Untertanen der Konsum-Kultur und der Verbrauchergesellschaft. Gewinnspannen-Lauerer, gierig Anhäufende, die der Monitor-Kyklop gleich einem Strudel in sich zieht. Dem Maler überaus ähnelnde Gestalten, die spürbar am Rande von etwas stehen. In ihren Umgebungen erscheinen Vanitas-Symbole.

So erkennen wir den Maler auch in der seine Persönlichkeit spiegelnden, in schmuckloser, schäbiger Umgebung erscheinenden, Hut tragenden Gestalt der Selbstportraits wieder. Der betonte Blick und der direkte Blickkontakt zeigen jemanden statt nur irgendjemanden.

Die Bilder werden von einer schwebenden Beklemmung regiert. Statt der bestimmten Gerichtetheit der Angst, die drückende, unüberschreitbare Hülle der Bangigkeit, die nur die reifende Einstellungsänderung und die im Inneren erfolgende Erneuerung auflösen kann. Etwa durch ein gemurmeltes Gebet im laublosen Wald. Diese Arbeiten zeigen einen Künstler, der sich in seinem eigenen künstlerischen, und nicht weniger geistigen, seelischen und gedanklichen Entwicklungsprozess selber zeigt – an einem Zwischenstopp, im Zeitpunkt vor einer Wende.

(Oktober 2011)

© der ungarischen Originalfassung: Sándor Balázs